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Dr. Joseph Wirth

JOSEPH WIRTH wurde am 7. September 1879 in Freiburg geboren. Die Familie wohnt in der Freiburger Herrenstr. 25. Nach Schulzeit am Kepler-Gymnasium Studium und Staatsprüfung für das höhere Lehramt in den naturwissenschaftlichen Fächern, Mathematik und Philosophie sowie Promotion in Physik. Ostern 1903 tritt JOSEPH WIRTH in den badischen gymnasialen Schuldienst ein, bei welchem er ab 1907 als Beamter auf Lebenszeit beschäftigt wird.

Zugunsten einer politischen Karriere beendet er am 9. November 1918, dem Tag des Endes der deutschen Monarchie, die schulische Laufbahn und tritt einen Tag später als Finanzminister in die Vorläufige Badische Volksregierung ein; zum Mitglied der Gesetzgebenden Gewalt ist er bereits 1913 in den Badischen Landtag und 1914 in den Deutschen Reichstag gewählt worden.

Nach dem Ersten Weltkrieg schließen sich zahlreiche Funktionen an der Spitze verschiedener Reichsministerien an, als deren Höhepunkt seine Reichskanzlerschaft vom 10.5.1921 bis zum 14.11.1922 gewertet werden kann. Zusammen mit Außenminister Rathenau schließt er mit der Sowjetunion den Rapallo-Vertrag, der die außenpolitische Isolierung Deutschlands nach dem Krieg durchbricht.

Noch Innenminister 1930/31 unter Brüning, scheidet er im Oktober 1931 aus der exekutiven Verantwortung aus, verbleibt aber Mitglied des Reichstags. Seit 1928 lebt er, ledig, in der Erbprinzenstr. 12 bescheiden in 3. Stock bei Prof. Karl Schmid und pendelt von hier aus zur politischen Arbeit nach Berlin; doch bleibt Freiburg Mittelpunkt seines privaten Lebens.

Die neuen Nazi-Machthaber nach 1933 lassen JOSEPH WIRTH schnell ihre tiefe Gegnerschaft spüren. Spätestens bei der Reichstagssitzung vom 21.3.1933 mit dem Ziel des „Ermächtigungsgesetzes“ zeigen die Nazis unverhohlen allen politischen Gegnern, was ihnen in Kürze bevorsteht. JOSEPH WIRTH hat allerdings diesem entscheidenden Gesetz aus „Fraktionsdisziplin“ zugestimmt. Das war – zu dieser Zeit – das Einverstandensein mit der zukünftigen Diktatur Hitlers. Ob er aber schon vorher den Entschluss zur Flucht gefasst hat oder erst unter dem Eindruck dieses demokratiefeindlichen Gesetzgebungsverfahrens ist uns nicht bekannt. Wahrscheinlich, so sagte er später aus, wäre er Ende des Monats März ohnehin in „Schutzhaft“ genommen worden, wenn die Polizei in Berlin nach ihm gesucht hätte – in Freiburg konnte sie ihn bei ihrer Suche aber nicht finden.

Seine Flucht daher 1933 führte ihn zuerst nach Wien, dann 1935 nach Frankreich, Paris. Auch nach diesem Schritt behält er die kleine Wohnung Erbprinzenstr.12 bis Ende 1937 bei, betreut von seiner Haushälterin Frau Lina Zeller. Seit dem 1.7.1933 wird ihm als Verfolgungsmaßnahme und legalisiert durch das „Berufsbeamtengesetz“ seine Pension entzogen. Wie wird er in der langen Zeit der Flucht – es werden 12 Jahre in drei verschiedenen Ländern sein – finanziell durchkommen ? Mit Hilfe einer bezahlten Tätigkeit? Die Hoffnung auf baldige Rückkehr zerschlägt sich bald und mit den Jahren immer mehr. Leider geben die Akten keine Hinweise.

Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges verlässt JOSEPH WIRTH Paris und begibt sich in die neutrale Schweiz nach Luzern. Von dort setzt auf seine Initiative eine vielfältige politische Kontaktaufnahme ein, aber ohne dass es gelingt, die militärischen Feindseligkeiten zu beeinflussen. Finanziell ermöglicht ihm ab Frühjahr 1945 das kantonale Gemeindeparlament des Kantons Luzern das Überleben mit von der deutschen Gesandtschaft in Bern verwalteten Reichsmitteln. Schließlich seine Rückkehr nach Freiburg, wo er ab 13.4.1949 in der Landsknechtstr. 18 gemeldet ist. Ab April 1949 werden ihm von der finanziellen Behörde Badens die laufenden Versorgungsbezüge wieder ausbezahlt.

Sein Versuch, Einfluss auf die politische Weichenstellung der neugegründeten Bundesrepublik zu nehmen, scheitert. Eine gute ausführliche Darstellung von JOSEPH WIRTHs nachkriegspolitischer Tätigkeit ist in Zusammenhang mit seinem Restitutionsantrag nachzulesen, Akte S. 57ff. Dabei handelt es sich eingangs nur um das Verfahren zur Rückerstattung der ihm gesetzlich zustehenden Versorgungsbezüge als Beamter – doch ein mammutähnliches, jahrelanges Hin und Her vor allen möglichen Instanzen beginnt. In dessen Verlauf und als Höhepunkt verweigert der Bundesminister des Inneren 1956 ihm die Erstattung, weil er „ nach dem 23. Mai 1949 die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des GG bekämpft hat“. Angespielt wird hier auf seine

Mitgliedschaft und als Erstunterzeichner der Deutschen Sammlung, dann des Bundes der Deutschen, die beide nach Lesart der Bundesregierung von SED und KPD gesteuert und finanziell unterstützt werden. Die Vorwürfe reichen bis hin zur Bezichtigung des Hochverrats wegen Kollaboration mit dem Regime in Ostberlin – für einen bundesdeutschen Beamten das Ende seiner Versorgungssicherheit.

JOSEPH WIRTH verstirbt bereits am 3. Januar 1956 im Alter von 77 Jahren. Er kann daher nicht mehr die Erfolge wahrnehmen, die auf juristischem Weg und auf der Basis einer verbesserten Rechtsprechung für ihn erreicht werden:

  • 1957 werden ihm (de facto seinen drei Neffen Josef, Hermann und Wolfgang Wirth) 30.000 DM als Erstattung wegen rückständigen Ruhegehalts zugesprochen;
  • 1967 erfährt er schließlich posthum Genugtuung durch die Entschädigung von 40.000 DM wegen Schadens beim beruflichen Fortkommen im öffentlichen Dienst während des Zeitraums vom 1.7.1933 bis 31.3.1950.

 

Quellen: Staatsarchiv Freiburg, F 196/1 -9038. Sekundär: Ulrike Hörster-Philipps, Joseph Wirth 1879-1956. Eine politische Biographie. Freiburg, 1998.
Recherche und Text :P.K. Ergänzung : M.M. beide Projekt STOLPERSTEINE in FREIBURG